Lagos

In den ersten zwei Wochen in Nigeria habe ich mich bereits gut im Camp eingelebt und komme super mit den Kollegen auf der Baustelle zurecht. Da es üblich ist, dass sich die Studenten in den verschiedenen Städten in Nigeria gegenseitig besuchen um auch andere Bauvorhaben kennen zu lernen, hatten wir die Möglichkeit am letzten Wochenende die Stadt Lagos zu besuchen. In Gesprächen habe ich schon viel darüber gehört, dass die Hafenstadt viel chaotischer, größer und dreckiger ist als Abuja. Aber das was wir dort erlebt haben, hatte ich nicht erwartet!


Am Donnerstagabend sind wir durch Glück von unserem ursprünglich zwei Stunden verspäteten Flieger in den Früheren gerutscht und hatten dadurch nicht so große Verspätung. Außerdem duften wir beim Durchleuchten unsere Wasserflaschen und ähnlich „gefährliche Dinge“ behalten, seltsam. Ich glaube am Flughafen in Abuja läuft selten alles nach Plan. Von der zentral gelegenen Hauptstadt sind es ca. 600 Kilometer, also eine Flugstunde zur größten Stadt Nigerias. Im Landeanflug bewegten wir uns ca. 10 Minuten über der Stadt Lagos ohne eine Schleife zu drehen, bis wir auf dem zentral gelegenen Flugplatz landen. In diesem Moment fragten wir uns schon: Wie groß ist diese Stadt eigentlich???


In Lagos angekommen wurden wir von zwei Praktikanten abgeholt und bekamen gleich einen ersten Eindruck von den Straßen in der Megacity mit 23 Millionen Einwohnern. So genau weiß man jedoch nicht, wie viele Menschen dort leben.  Gefühlt fährt man keine 5 Meter ohne in einem Schlagloch zu landen. Davon lassen sich die Fahrer jedoch nicht irritieren und heizen über die Straßen als wären wir bei der Formel 1. Im Camp angekommen, werden wir in den Studentenwohnungen begrüßt, in denen wir verteilt auf Matratzen auf dem Boden eine Schlafmöglichkeit haben. Bei  einem Bier lernen wir Neun aus Abuja die Zwei aus Uyo und Fünf Gastgeber kennen. Es ist cool auch wieder Alex und Simon aus Mosbach zu treffen!


Am nächsten Morgen stehen wir schon früh auf um einige Baustellen zu besichtigen sowie eine große firmeneigene Werkstatt für alle Fahrzeuge und Maschinen. Direkt daneben gibt es sogar eine Werft für die eigenen Schiffe! Das erste Ziel ist eine große Bank, die momentan mitten in der Stadt mit 16 Stockwerken gebaut wird. Von ganz oben genießt man einen wundervollen Blick! Die Baustelle stellt eine besondere Herausforderung an die Logistik, da nichts gelagert werden kann und die Lieferungen somit genau zeitlich abgestimmt sein müssen. Der Schweiß läuft in der tropisch heißen Stadt, doch es gibt zwischendurch kleine Abkühlungen im klimatisierten Bus, wenn wir im Stau stehen auf dem Weg zum nächsten Highlight. Auf den Straßen fahren viele Mopeds als Taxen, da hinten eine bis drei Personen mitfahren können. Diese sind jedoch sehr gefährlich, da sie sich in jede Lücke rein drängen und manchmal zu spät gesehen werden. Deswegen sind sie mittlerweile in Abuja verboten und werden durch kleine Dreiräder ersetzt. Diese bieten zumindest ein bisschen mehr Sicherheit. Außerdem werden in der Stadt immer wieder Brunnen gebohrt für Trinkwasser. Diese Bohrungen müssen mindestens 250-300 Meter tief sein, da die ersten 25 Meter nur aus Müll bestehen!!! Es schmeißt hier wirklich jeder alles auf die Straße, was er nicht mehr braucht. Das sind Kleinigkeiten bis hin zu nicht mehr fahrbaren LKWs.


Am Samstag besichtigen wir eine Schrägseilbrückenbaustelle mit einem knapp 100 Meter hohen Pylon!!! Mit einem Aufzug können wir auch dort bis an die Spitze fahren und können eine künstlich aufgeschüttete Bananeninsel mit gigantischen Villen bewundern, direkt daneben große Gebiete mit Blechhütten. Ein Ende der Stadt ist nur an der Küste zu sehen. Dort liegen viele Tanker bereit für die nächste Rohöllieferung. Auf dem Rückweg stoppten wir an einem afrikanischen Markt, auf dem wir Kunst und Lebensmittel bewunderten oder auch schnell weiter gingen. Überall wird man angesprochen von den Verkäufern: „Come, come my friend, look here, good price!“ Irgendwann gehr das echt auf die Nerven! Abends werden wir von zwei gepanzerten Kleinbussen abgeholt, um in Eskorte mit bewaffneten Pick-ups zu einer Bar zu fahren. Was sich hier abends im Dunkeln alles so rumtreibt, will man bei Tageslicht nicht wirklich sehen. Einige Stadtviertel sind sogar komplett gesperrt, aus Sicherheitsgründen. In den Bars und Diskos jedoch, in denen wir uns anschließend herum treiben, befinden sich eigentlich nur wohlhabende Afrikaner und vor allem Europäer. Am frühen Morgen werden wir wieder nach einem sehr spaßigen Abend zurück gefahren.


Am letzten Tag des Austausches kommt eine unerwartete Belohnung: Ein gemütliches Buffet-Frühstück erwartet uns im Clubhaus. Anschließend werden wir im Hafen von zwei Booten abgeholt (mit einer Stunde Verspätung, aber das stört uns mittlerweile nicht mehr) die uns durch die Lagune zu einem traumhaften Strand fahren. Wir fühlen uns immer mehr wie in der Karibik, der Fahrtwind bläst uns angenehm um die Ohren und wir können es kaum glauben, als wir nach einer Fahrstunde das komplette Gegenteil zur Megacity vorfinden: Es gibt viel Platz, einig wenige kleine Dörfer haben sich angesiedelt, deren Häuser Strohdächer haben, Wege sind aus Sand und Palmen spenden Schatten über unseren Köpfen. Es ist atemberaubend! Nur die Temperaturen sind ähnlich heiß, aber es geht zum Glück eine Briese Wind. Am weißen Sandstrand brechen die Wellen des Atlantiks und schwemmen leider immer wieder Müllfetzen aus der Stadt an. Direkt am Strand haben fünf Ingenieure ein Grundstück mit einer kleinen Hütte und Liegestühlen gepachtet. Sie kommen fast jeden Sonntag an diesen Ort, um sich von der Woche zu erholen. Sie haben uns an diesem Tag eingeladen mitzukommen. Abwechselnd springen wir im Salzwasser immer wieder durch ca 1,5 Meter hohe, sich brechende Wellen, liegen im Schatten oder essen ein Stück Fleisch vom Grill mit Salaten und Brötchen. So ähnlich stelle ich mir das Paradies vor :-) Wir hatten es dort wirklich gut, vielleicht sogar zu gut! Am späten Nachmittag haben wir unsere 7 Sachen wieder gepackt, da an diesen Stränden auch oftmals ungebetene Piraten kommen und man deswegen nicht zu lange bleiben sollte.
Sehr entspannt, teilweise mit Sonnenbrand, kamen wir abends wieder ins Camp, tauschten noch Bilder aus und verabschiedeten uns schon langsam, da wir am Montagmorgen sehr früh wieder zurückflogen und jeder an seine Arbeit musste. In der Hauptstadt Abuja wieder angekommen,  kamen uns die Straßen und der Verkehr wesentlich angenehmer vor als in Lagos. Die Straßen sind im Vergleich viel neuer, nicht so vollgestopft und insgesamt etwas zivilisierter.


Diese extreme Lebenssituationen in den Städten Nigerias bringt mich immer wieder ins grübeln. Momentan erkläre ich mir das kurz gesagt etwa so: Das Land hat eigentlich viele Bodenschätze, befindet sich in einer angenehmen Klimazone und hat einen großen Küstenstreifen mit tollen Stränden. Man könnte meinen, es sei ein reiches Land. Warum kann die Bevölkerung dann nicht mehr daraus machen? Man könnte den Tourismus ankurbeln, Rohstoffe exportieren und das Geld gleichmäßig verteilen, sodass es allen gut geht. Das Gegenteil ist jedoch leider Realität: Seit dem das Land unabhängig ist, machen die Chefs der Ölfirmen, Banken und eines großen Mobilfunkanbieters sowie andere hohe Tiere aus der Wirtschaft das große Geld und arrangieren es irgendwie so mit den Politikern, dass jeder einen großen Teil in die eigene Tasche steckt, aber die Mitarbeiter schlecht bezahlt werden und die restliche Bevölkerung arm bleibt. Korruption ohne Ende. Das hat zur Folge, dass es einige sehr teure Privatvillen, Bürotürme und Regierungsgebäude gibt bzw. entstehen und der Rest schauen muss wie er in Blechhütten sein Dasein fristet. Nebenbei finanziert die Regierung zwar auch eine Infrastruktur aber die Gelder werden immer wieder gestoppt, sodass auch viele halbfertige Brücken und Straßen zu sehen sind. Die Firma Bilfinger Berger Nigeria ist mittlerweile größter privater Arbeitgeber im Land und beschäftigt Deutsche für die Planung und viele Einheimische für die Ausführung. Ich habe den Eindruck, dass diese Mitarbeiter sehr glücklich sind über diese Möglichkeit so zu arbeiten, da sie im Vergleich zu anderen gut verdienen. Trotzdem muss man immer höllisch aufpassen, dass man nicht übers Ohr gehauen wird, da oftmals die verrücktesten Geschichten erzählt werden, um an noch mehr Geld zu kommen. Das fängt beim Bezahlen des Fahrers an, geht natürlich beim Handeln auf dem Markt weiter bis hin zum Klauen von Beton oder Werkzeug auf der Baustelle. Die allgemeine Sicherheit wird dadurch gefährdet, egal wo man sich aufhält. Es ist ein faszinierendes und kontrastreiches Land, in dem eigentlich fast jeder nur an sich selbst denkt. Die Armen, weil sie nicht anders können, und die Reichen weil sie nicht anders wollen. Das Denken an morgen und an die Mitmenschen erlebt man sehr selten, aber es soll schon besser geworden sein in den letzten Jahren. Eigentlich geht es uns mit der Politik in Deutschland echt gut!