Die Antlantikküste

Der Osten Kanadas ist wirklich etwas besonderes und ich bin froh, dass ich nicht gleich von Toronto aus in den Westen gefahren bin. Die Menschen ticken einfach anders, sind gemütlicher, es ist fast nichts los auf den „Autobahnen“ (Höchstgeschwindigkeit 100 km/h) und es gibt eigentlich keine wirklich großen Städte. Das finde ich sehr angenehm. Einfach ganz anders als Deutschland bzw. Europa.

Hier ein Vergleich: New Brunsick, die kleine Provinz zwischen Quebec und Nova Scotia wird oft als „drive through“ bezeichnet, da es scheinbar nichts Interessantes zu sehen gibt. Trotzdem ist diese Provinz flächenmäßig fast so groß wie Deutschland. Die Bevölkerung in ganz Kanada (weltweit das zweitgrößte Land!) beträgt jedoch „nur“ 33 Millionen. Also noch nicht mal die Hälfte der kleinen Bundesrepublik Deutschlands!

 

Bevor ich so richtig an den Atlantik gekommen bin, habe ich Esther und Alex (couchsurfer) in Moncton besucht. Das war echt schön. Sie haben einen Sohn, in meinem Alter, der jedoch schon ausgezogen ist. Zusammen haben wir tolle Ausflüge gemacht: In eine Eishöle und in einen Ahornwald mit frischer Sirupproduktion. Das war wirklich interessant. Eine Frau hat uns erklärt, wie der Zuckersaft aus den Bäumen über ein kompliziertes Kabelsystem in einen zentralen Sammelpunkt kommt und dort dann in verschiedenen Stufen gekocht wird, so dass u.a. der typische kanadische Ahornsirup entsteht. Zu der Zeit in der wir da waren hat es gerade angefangen mit dem neuen Saft. Dieses Jahr scheint ein besonders ertragreiches zu sein, da die Wetterbedingungen perfekt sind: Es gab einige Nächte mit -5°C und tagsüber dann jedoch + 10°C. Das sind die guten Voraussetzungen für viel Saft.

Außerdem sind wir an diesem Wochenenden zu den nicht weit entfernten Hopewell Rocks gefahren. Das ist eine besondere Stelle im Fundy Bay an der es den weltweit größten Unterschied zwischen Ebbe und Flut besonders schön zu sehen gibt. Der Fels wurde dort über die Jahre vom Salzwasser geformt. Bei Ebbe kann man schön am Strand laufen und die Felsen bewundern. Bei Flut ist das Wasser im Extremfall 20 Meter (!!!) höher und man sieht nur die Spitze der Felsen (wie ein Eisberg) oder sie verschwinden ganz im Wasser. Wenn die Flut also kommt, muss man die Treppen echt zügig hoch laufen! Das ist wirklich beeindruckend. Die unveränderbare Kraft der Natur.

 

Weiter bin ich Ende März nach Nova Scotia, Halifax mit meinem Ford gefahren. Er läuft nach wie vor echt klasse! Nova Scotia, das neue Schottland ist wirklich etwas Besonderes. Umrundet vom Atlantik, hat es den Spitznamen „Canadas Ocean Playground“ wirklich verdient. Tolle Schiffe, Leuchttürme und Strände sind zu bewundern. Viel Eis gab es eigentlich gar nicht und ich hatte wirklich ein paar sonnige, wenn auch sehr windige Tage dort. Halifax ist vielleicht die Stadt, die mir hier in Kanada bis jetzt am Besten gefällt. Sie ist nicht zu groß, nicht zu klein. Man bekommt alles, sie ist nicht die jüngste Stadt, einen beeindruckenden Hafen und viel Grün in den Straßen. Das Englisch ist einfach zu verstehen, und man wird nicht mehr in dem komischen New Brunswick englisch-französisch-Mix angesprochen!

Ich habe dort 3 sehr nette junge Menschen gennengelernt: Louise, Phillipp und Jayme. Zusammen haben wir selbst gemachte Nudeln gekocht, Brot gebacken, Holz gespalten, Musik gemacht oder zugehört und waren im Atlantik schwimmen! Das war echt ein Erlebnis, zumindest für mich. Ich wollte es unbedingt machen und hab mich letztendlich davon überzeugen lassen, dass es wirklich nicht so schlimm ist, wie ich gehört habe, dass eine Gruppe von Kanadiern das hier jeden Monat macht! Bei jedem Wetter! Das finde ich echt verrückt. Wir hatten echt Glück, denn es war an dem Tag nicht zu windig und der Himmel war klar blau. Trotzdem war das Wasser nur 2 °C warm, die Lufttemperatur vielleicht ein bisschen mehr, in der Sonne. Also sind wir rein gerannt, ich sogar mit dem Kopf unter Wasser und dann schnell wieder raus. Wow, dann rennt das Blut nur so durch die Adern! Das tut wirklich gut!

 

Nach einer Woche in der Hauptstadt Nova Scotias hatte ich meinen Ford ein bisschen aufgerüstet (hauptsächlich die Innenausstattung) und einen Plan geschmiedet für die restliche Zeit am Atlantik: Mit dem Auto an der Küste entlang nach Cape Breton (das ist eine Insel, gehört aber immer noch zur Provinz NS), dort 2 Nächte verbringen und dann mit Fähre nach Newfoundland. Auf der Insel habe ich eine Nacht bei Jamie (32 Jahre, Förster, Kletterer und reisebegeistert!) und eine Nach bei Allan (37 Jahre, arbeitet bei einer Versicherung, Kanufahrer) in Sydney verbracht. Bei ihmhabe ich mein Ford auf dem Grundstück gelassen, da die Fähre ohne Fahrzeug viel billiger ist.

 

Ich hatte es also bis zum östlichsten Punkt Canadas auf dem Festland geschafft, hatte aber irgendwie noch nicht genug. Ich wollte unbedingt auf die Insel Newfoundland. Die Provinz, die vor kurzem noch ein eigenständiges Land war, wurde mir schon öfters empfohlen, wegen den super netten Menschen, dem ganz eigenem englischen Akzent und der halben Stunde Zeitunterschied zum restlichen Festland.

 

An einem sonnigen Sonntag morgen Ende März habe ich mich also auf einer großen Fähre von dem eisbedeckten North Sydney verabschiedet. Das war echt gewaltig. Das ist die einzige Fährverbindung zum Festland im Winter, wegen dem ganzen Eis und den wenigen Touristen.

Auf der 7 stündigen Fährfahrt habe ich mich schon mit einigen LKW-Fahrern unterhalten und habe sie gefragt, ob sie mich nicht ein Stückchen mitnehmen können in Richtung St. Johns. Das war nicht besonders schwer, da es in der ganzen Provinz nur eine Autobahn gibt, quer durch von Port aux Basques im Südwesten (dort wo die Fähre ankommt) zur Hauptstadt St. Johns im Südosten. Das sind insgesamt 900 Kilometer. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich es schaffe dort hin zu trampen, aber ich hatte wirklich Glück: In 2 Tagen bin ich von netten Autofahrern mitgenommen worden bis ich letztendlich wirklich am östlichsten Punkt Kanadas gelandet bin: nur noch 4.000 Kilometer von Deutschland entfernt. Nur noch der Atlantik, der die Kontinente Amerika und Europa voneinander trennt. Das ist wirklich ein unglaubliches Gefühl, wenn man so an der felsigen Küste steht nahe der einzigen großen Stadt Newfoundlands, der Wind einem um die Ohren pfeift und die großen Eisberge von Grönland einem vor der Nase entlang treiben. An dieser kargen Küste bin ich lustigerweise mit einem anderen Deutschen namens Jan, den es nach Kanada verschlagen hat, entlanggelaufen. Er ist Goldschmied, hat sich hier verliebt und lebt jetzt zusammen mit einer netten Kanadierin seit einem halben Jahr zusammen. Ich durfte bei ihnen im Haus ein paar Tage verbringen.

Von dort aus ist es nur noch ein Katzensprung in die Heimat, dafür ein weiter Weg nach Vancouver, ca 7000 Kilometer. Für mich war jedoch ganz klar in welche Richtung ich wollte. Anfang April bin ich wieder los gezogen, nur mit meinem Rucksack, ähnlich wie damals in Toronto, doch jetzt in Richtung Westen. Am Anfang vom Trans-Kanada-Highway (mile 0) habe ich ein paar Photos gemacht und bin dann wieder auf die Straße: Daumen raus, freundlich grinsen und sich nicht schnell entmutigen lassen, den dann verschwindet das Grinsen! Das sind die 3 Leitregeln, die mir schon in Halifax empfohlen worden sind. Ich habe damit wirklich nur gute Erfahrungen gemacht, hier in dieser wenig besiedelten Provinz. In anderen Ländern hätte ich das wahrscheinlich nicht gemacht.

Mit der Fähre ging es wieder zurück zu meinem Auto und dann den ganzen Weg zurück nach Toronto. Einen längeren Zwischenstopp habe ich auf der Prinz Edward Insel gemacht (PEI). Das ist die kleinste Provinz Kanadas, eine kleine Insel mit schönen Sandstränden verbunden mit einer 13 Km langen Brücke zu Festland. Das ist echt beeindruckend. Die weltweit längste Brücke über ein zufrierendes Gewässer. Übernachtet habe ich in Charlottetown, bei einem Couchsufer in seinem Studentenapartment, der Uni um die Ecke.

Weiter bin ich am Westufer des St. Lawrence River entlang durch New Bruswick gefahren, bis Quebec. Dort durch die Gaspesie, ein bergiges Gebiet mit überschwemmten Flüssen wegen dem langsam schmilzenden Eis. In Quebec City, Montreal und Gatineau habe ich bei Freunden und Verwandten übernachtet, die ich auf dem Hinweg ohne Auto kennen gelernt habe. Langsam aber sicher habe ich mich dabei wieder an etwas mehr Autos auf den Straßen gewöhnen müssen.

Immer wieder habe ich auch andere in meinem Ford mitgenommen, da ich ja so viel Platz habe und den Benzinpreis zu teilen ist auch keine schlechte Idee... So zum Beispiel Sonia. Sie hat auf meine Kleinanzeige im Internet geantwortet, also sind wir zusammen von Montreal nach Gatineau gefahren.
Ostern habe ich mit der Familie Cool-Fergus verbracht. Das war echt klasse, wir hatten wieder super viel Spaß und waren zusammen in einem schönen Ostergottesdienst mit 3 Taufen!

 

Seit letztem Montag bin ich wieder in Toronto, dort wo ich im letzten Oktober gelandet bin. Viele Erinnerungen von Erlebnissen sind zurück gekommen, die ich vor einem halben Jahr gemacht habe. Irgendwie kann ich es gar nicht glauben, dass schon die Hälfte meines Kanada-Aufenthalts vorbei ist. Aber es ist ein gutes Gefühl zurückzublicken auf all das, was ich in den letzten Tagen, Wochen und Monaten hier erlebt habe. Oft stelle ich mir die Weltkugel vor, bespannt mit einem weißen Tuch auf dem die Umrisse der Länder und Kontinente zu erkennen sind. Überall dort wo ich schon war sind Farbtupfer zu sehen. Natürlich ist es sehr bunt in Europa, aber mittlerweile gibt es auch schon einige Farben in Amerika. Der Osten Kanadas ist entdeckt und es gibt schon viele Andeutungen und Pläne für den Westen Kanadas!

Ja, 4000 Kilometer sind schon gefahren mit meinem neuen Zuhause. 1000 km bis nach Sydney, Nova Scotia und ca 3000 km zurück nach Toronto. Weitere 4000 km erwarten mich bis nach Vancouver, den großen Seen entlang in Ontario, durch die Prärie und schließlich über die Rocky Mountains bis zum Pazifik! Darauf freue ich mich schon!