gut zu Hause angekommen

Nach 365 Tagen in dem zweitgrößten Land der Welt bin ich wieder gesund auf dem so dich besiedelten deutschen Boden gelandet. Die letzten Tage in Kanada vergingen viel zu schnell vorbei: Ich habe zum Glück eigentlich alles verschenkt und verkauft was ich nicht mit nach Hause nehmen konnte. Angefangen von meinem Fahrrad, über meine Landkartensammlung von allen Provinzen Kanadas, bis hin Gewürzen, Lebensmittel und Töpfen. Ich habe sogar übers Internet jemanden gefunden, der Interesse an meinen Krücken hatte, die ich im Krankenhaus kaufen musste. Darüber war ich wirklich überrascht aber auch froh.

 

Meine grösste Sorge war die ganze Zeit jedoch mein Auto: wie kann ich das verkaufen an irgend jemanden, der sich auch darum kümmert, es gut pflegt und es liebt darin zu fahren? Um diese passende Person zu finden habe ich Kleinanzeigen in Zeitungen inseriert, in Supermärkten und im Austauschoffice Zettel aufgehängt, im Internet auf deutschen Reiseseiten, bei Autodealern und bei verschiedenen anderen Kleinanzeigenwebseiten Vancouvers mein Auto zum Verkauf publiziert. Natürlich habe ich auch viele meiner Freunde gefragt, ob sie nicht Interesse hätten, aber entweder war ihnen der Van zu gross, zu alt oder zu teuer oder sie haben selbst zu weit weg gewohnt. Das hätte bedeutet, dass sie den Wagen erst später abholen können, aber ich wollte ihn ja unbedingt VOR meiner Abreise verkaufen. Als letzte Möglichkeit wäre mir der Gebrauchtwagenhändler geblieben, jedoch hätte ich von dem nur einen sehr schlechten Preis bekommen und wer weiss was er dann mit dem Auto gemacht hätte?!
Letztendlich habe ich, auch übers Internet ein Schweizer Pärchen kennengelernt, das vor kurzem nach Victoria auf Vancouver Island gezogen ist. Dort wollen sie sich jetzt ein Haus kaufen, arbeiten gehen und natürlich auch ein Auto fahren. Ich bin ein bisschen aus Verzweiflung schon jeden dritten Tag mit dem Preis runter gegangen, weil sich alle Interessenten irgendwie als nicht wirklich geeignet rausstellten bis eben diese Schweizer aus Genf mit mir Kontakt aufgenommen haben. Sie kamen dann extra nach Vancouver und waren total beeindruckt. Also habe ich ihnen mein treues Fahrzeug überlassen, wir waren zusammen bei der Versicherung und sie waren ganz glücklich mit ihren neuen Nummernschildern. Darüber war ich auch sehr froh.

 

Abgesehen vom Ausmisten und Packen habe ich vor allem die letzten 2 Wochenenden in und um Vancouver herum sehr genossen: Die letzte grosse Wanderung direkt nach dem ich von meiner Yukon-Reise wiedergekommen bin ging mit Nicholas, Kieran und Dave zu den Joffre Lakes. Das war noch mal ein gigantischer Abschluss in den Rockies. Im Gabrieli Park, der die beeindruckendsten und anspruchsvollsten Wege bietet im Raum Vancouver, habe ich damit in diesem Sommer fast alle grossen Touren gemacht.
Zusammen sind wir wieder ein Stück mit dem Auto nach Whistler gefahren, dort konnten wir bei einer Freundin eine Nacht verbringen und sogar in den Morgenstunden Kanu fahren und dann sind wir Männer weiter zum Parkplatz am Beginn des Wanderwegs gefahren: Mit den grossen Rucksäcken, Schlafsäcken, Isomatten, Lebensmittel und Regenjacken sind wir losgezogen obwohl der Wetterbericht nicht der Beste war. Tatsächlich sind wir in den Regen gekommen, aber wir waren so beeindruckt von den Seen und Gletschern, dass wir nicht umkehren wollten. Durch ausgetrocknete Bäche ging's hindurch, umgefallene Baume mussten überklettert werden, und selbst flache Felsen waren bei der Nässe eine Herausforderung. Abends sind wir dann an einem wilden Campingplatz angekommen. Kieran war hier schon mal vor ein paar Jahren. Viel gab es dort nicht: Ein paar Felsbrocken die zu einer ebenen Flächen umgeschichtet worden sind, einen Metallkasten, den man abschliessen kann, sodass die Lebensmittel vor den Bären geschützt sind und ein „Outhouse" also ein Donnerbalken mit kleiner Holzhütte drum herum. Gewaschen haben wir uns im sau kalten aber super klaren Gebirgssee, der frisch vom Gletscherwasser gespeist wird. Der weiss-bläulich schimmernde Gletscher baute sich heroisch über unseren Zelten auf. Wir hatten die Baumgrenze gerade hinter uns gelassen. Zum Abendessen gab's schon vorbereitetes Chili und selbst gebackenes Brot.
Ziemlich bald wurde es dann schon dunkel und kalt sodass wir uns nur noch ein bisschen unterhalten haben (zu viert zusammengequetscht in einem Zwei-Mann-Zelt), dann ist jeder in seinen Schlafsack gekrochen. Mitten in der Nacht sind wir alle aufgewacht weil einer sich geräuschvoll aus dem Schlafsack geschält hat um auf den Donnerbalken zu gehen... Da wir dann eh alle wach waren haben wir noch mal die Sterne bewundert. Es hatte aufgehört zu Regnen, und es war einfach traumhaft schön unter diesem Sternenhimmel. Wir waren uns einig, dass das schöner ist als jeder Alkoholgenuss oder andere Genussmittel. Wenn man hier so liegt oder sitzt auf dem unbequemen Steinen und den Nebel neben sich auf dem ruhigen See liegen sieht, dick eingepackt in Schlafsack, Mütze und Handschuhe ist und dann am Himmel diese Sternbilder beobachtet, dann kann man sich nichts schöneres vorstellen. Das ist so ein Gefühl der vollkommen Zufriedenheit, fast wie im Rausch. Ich war wirklich sprachlos.
Nach einer recht kurzen Nacht sind wir kurz nach Sonnenaufgang aufgestanden, haben einen heissen Tee gemacht mit unserem kleinen Gaskocher (ich glaube ich habe mich noch nie so sehr auf einen heissen Tee gefreut) und haben langsam die Zelte wieder zusammengepackt. Vor dem Rückmarsch haben wir noch ein paar Bilder gemacht von dieser bezaubernden Morgenstimmung und sind dann den gleichen Weg wie am Vortag zurückgelaufen.

 

Unter der Woche war ich noch einige Male beim Physio und ein letztes Mal beim Arzt um alle Dokumente von meiner OP zu bekommen. Er war mit der Entwicklung meines Beins total zufrieden und ich konnte damals schon fast wieder alles machen. Mir wurde sogar offiziell erlaubt wieder langsam mit Sport anzufangen.

 

An meinem letzten Abend vor meinem Abflug hatte ich eine kleine Abschlussfeier, größtenteils von Nicholas, meinem WG-Partner organisiert. Insgesamt kamen 10 Freunde und wir haben total lecker zusammen gegessen. Es gab Fleisch mit Kartoffelbrei, Gemüse und Salat. Es war total schön noch mal einige zu sehen, mit denen ich so viele schöne Sachen in den letzten Monaten hier in Vancouver teilen dufte. Wir habe uns gegenseitig noch mal „alte" Geschichten erzählt sodass es mir dann richtig schwer gefallen ist, mich von allen zu verabschieden. Aber mein Rückflug am nächsten Tag konnte ich beim besten Willen nicht verschieben, da mein Visum einfach den letzten Gültigkeitstag hatte.

 

Ja, so hat sich dann ein Jahr work and travel in Kanada einfach dem Ende geneigt. Vor genau 12 Monaten bin ich in Toronto damals angekommen mit so vielen Plänen aber eigentlich keiner Ahnung, wie ich das alles umsetzten kann. Und jetzt letztendlich habe ich immer wieder mit Überraschung festgestellt das ich doch so viel in die Realität um gesetzt habe, dass ich es selbst kaum glauben kann.
Ich habe mir mein erstes eigenes Auto gekauft (und wieder verkauft!!!!), ich habe mir 3 Mal in verschiedenen Provinzen Jobs und Apartments gesucht, habe französisch und vor allem viel Englisch gelernt und viele viele so aufgeschlossene, gastfreundliche und abenteuerbegeisterte Menschen aus der ganzen Welt kennengelernt, so wie es nie möglich gewesen wäre, wenn ich „zu Hause" geblieben wäre. Ja, ich denke, dass das wirklich das Beste für mich war, dass ich so viele neue Freunde in kurzer Zeit gewonnen habe und damit so viele verschiedene Charakter kennenlernen durfte. Dass ist echt faszinierend. Natürlich war es auch nicht immer einfach, ich musste immer meine Wäsche selbst gewaschen (und nie gebügelt), stand vor allem am Anfang oft im Supermarkt und habe lange nachdenken müssen: Was soll ich denn kochen? Schon wieder Nudeln? Aber ich habe eigentlich immer eine Lösung gefunden und auch aus vielleicht vielen nicht so gut gelungenen Kochaktionen gelernt...

 

Insgesamt bekommt man glaube ich auch nach einem solchen Jahr auch eine andere Weltansicht. Nicht nur wenn man auf einem der höchsten Türme der Welt (CN-Tower, Toronto) steht oder mit einem Schiff vor einem der der längsten Wasserfälle (Niagara Falls, Ontario) fährt. Das tägliche Leben wird auch noch ein Mal ganz anders gesehen, wenn man eine Woche lang bei -30C morgens im Tiefschnee auf der Stelle hüpfend auf den Bus wartet... Ich weiss nicht wie oft ich gedacht haben: Mensch, geht's uns eigentlich gut!

 

Über all das und vieles mehr konnte ich vor allem bei letzten Gottesdiensten und Meditationen nachdenken. Denn vor allem am Schluss habe ich in Vancouver wöchentlich eine Meditationsgruppe, im Shambala Center besucht. Das hat echt gut getan, vor allem nach der Arbeit, eine Stunde in der Stille einfach auf einem Kissen in deiner Gruppe sitzen und seine Gedanken freien Lauf geben. Es heisst dort immer man soll sich nur auf die Atmung konzentrieren. Das ist gar nicht so einfach, eine Stunde lang! Nach eine kurzen Tee-und-Kekse-Pause gab es dann immer noch einen Vortrag über den Buddhismus und die Welt mit anschliessender Diskussion. Natürlich alles auf Englisch. Manchmal bin ich da wirklich an meine Grenzen gestossen, aber ich habe die Herausforderung gerne angenommen. Dabei habe ich übrigens auch sehr viele total interessante Menschen kennengelernt. Ich habe zwar nicht immer so übereingestimmt mit deren Vorstellungen und Ansichten aber trotzdem war ich jede Woche willkommen und da nach immer unheimlich entspannt.

 

Am 30. September hatte ich dann leider und zum Glück meinen Rückflug. Es war nicht einfach dann wieder so am Flughafen zu stehen und dieses tolle Land zu verlassen auf der anderen Seite habe ich mich unheimlich auf alles Neue in Deutschland gefreut. Der Flug war spannend. Ich finde Flugzeuge total Faszinieren auch in der etwas kleinen A 330 von Air Canada gab es guten Service und vor allem eine tolle Sicht. Ich hatte einen Fensterplatz und fand es klasse noch ein Mal fast das ganze Land Kanada zu Überfliegen. Dabei musste ich vor allem an die 20.000 Kilometer denken, die ich selbst in diesem Land mit meinem eigenen Auto zurückgelegt habe.
Total schnell bin ich dann wieder in Frankfurt gelandet. Nach Mannheim wollte ich, genau wie auf dem Hinweg alleine mit dem Zug fahren. Damit konnte ich meine Reise so beenden wie ich sie begonnen hatte. Ich konnte es kaum erwarten dann am Bahnhof von Freunden und Familie begrüsst zu werden. Ich war ein bisschen aufgeregt aber habe mich total gefreut.

 

Jetzt bin ich schon wieder eine gute Woche in meinem Heimatland und muss ganz ehrlich sagen, dass ich es am meisten geniesse wieder unter so bekannten und vertrauten Menschen zu sein. In Kanada war ich so viel unterwegs und habe andauernd neue Leute kennengelernt, sodass sich natürlich nie so eine Vertrautheit aufgebaut hat wie hier in mehreren Jahren Schule. Es war immer toll aufs neue zu erfahren was andere für eine Geschichte zu erzählen haben, aber es ist auch unglaublich angenehm Freunde und Familie zu sprechen, deren Geschichte man kennt, und man genau weiss, was sie meinen und man auch keine Sorgen haben muss nicht verstanden zu werden. Zum Beispiel jetzt am Wochenende waren wir bei meiner Tante und haben dort auch viele Cousins getroffen, das war einfach klasse, wir hatten viel Spass zusammen.

 

Auf der einen Seite geniesse ich es hier total wieder so richtig „im Luxus" zu leben. Der Kühlschrank ist immer voll, ich habe ein warmes Bett, ich weiss auswendig alle Strecken mit dem Rad in die Stadt oder wo auch immer ich hin will und alles ist so dicht beisammen. Ausserdem geniesse ich es total wieder im Ensemble, im Orchester und zu Hause Klarinette zu spielen! Das ist auch so etwas vertrautes und ich hatte kaum Probleme mich wieder an das Instrument zu gewöhnen!
Auf der anderen Seite vermisse ich auch total das einfache und auch herausfordernde Leben. In den letzten Monaten musst ich immer selbst meine Sachen organisieren, Freunde suchen, oft habe ich mich in er Natur rumgeschlagen, auf der Suche nach dem richtigen Weg zum Ziel, wo es auch immer sein mag. Das war nicht einfach, aber man hat viele Erfolgserlebnisse, die zu Hause oft selbstverständlich sind man man sich deswegen gar nicht so sehr freut.

 

Ich danke euch allen jedenfalls auch noch Mal auf diesem Wege, die ihr mich unterstützt habt auf meiner Reise. Ob es „nur" Emails ab und zu waren oder ob ihr Über SKYPE erzählt habt, was zu Hause so los ist. Es hat immer gut getan zu erfahren was noch so in der Welt passiert und zu wissen, dass ich nicht der einzige bin, der mache Sachen einfach aus europäischer Sicht sehr komisch findet...
Vielen Dank!

 

Ja, und jetzt hier in Deutschland wird wieder ein neues Kapitel meines Lebens aufgeschlagen. Ich bewerbe mich für ein Studium vielleicht zum Bauingenieur. Mal sehen was daraus wird....