Toronto

„Toronto is a city driven by the seasons.“ steht in meinem Reiseführer. Und wenige Sätze später heißt es „In October Torontonians have a haunted look – reddening maples bring a tight-lipped, melancholy realization that winter is not far away.“
Momentan pendelt die Lufttemperatur um den Gefrierpunkt herum und es weht oft ein kalter Wind. Ok, es ist auch schon Mitte November, um so deutlicher ist zu spüren, dass der Winter bald kommt.
Im Gegensatz dazu erlebe ich jedoch die Menschen hier immer noch sehr aufgeschlossen, hilfsbereit und freundlich. Ok, von Tag zu Tag sind weniger Personen auf den Straßen unterwegs, abgesehen von den Autos. Trotzdem hab ich das Gefühl, dass die Menschen gut gelaunt unterwegs sind und sich auf den Winter freuen. Zumindest ist es bei mir so.

Unter der Woche arbeite ich dem einem Coffeestore Tim Hortons. Vielleicht haben manche das falsch verstanden bei meinem letzten Bericht, oder in einer email, was ich dort so jeden Tag mache. Deswegen hier noch mal eine genauere Erläuterung: Ich muss die Leute bedienen, aber alles hinter einer Theke. Man darf sich das nicht wie in einem Restaurant vorstellen. Das heißt es gibt fast immer eine lange Schlange von Menschen, die dann an einem der vier Schalter bedient werden und weiter gehen. Das heißt oft Stress, schnell, schnell Kaffee machen, Muffins holen, Sandwich machen, je nach dem was der Kunde will. Das ist anstrengend aber manchmal auch interessant. Besonders mag ich die Bauarbeiter, die aus der Nachbarschaft kommen, mit einem Stück Holz oder so, mit Bestellungen für die ganze Mannschaft. Die sind meistens echt nett und es ist was anderes, Kaffee für solch eine Mannschaft, in Halterungen aus Pappe in Tüten zu verpacken. Man kann es ein bisschen vergleichen mit Mc Donalds in Deutschland. Hier in Nordamerika gibt es über 8000 Filialen von Tim Hortons, die meisten davon sind in Kanada. Der Gründer war ein Eishockeyspieler vor ca. 50 Jahren. Dort zu arbeiten ist nicht gerade toll, aber ich werde dafür bezahlt, das ist das wichtigste:)
Ich bin seit Anfang des Monats immer mehr "hinter den Kulissen" als Bäcker, um die verschiedenen Arbeitsbereiche kennen zu lernen. Das ist interessant, auch wenn fast alles nur aus dem Gefrierraum direkt in den Ofen kommt. Von wegen „Always fresh“. Es war nicht einfach am Anfang, die verschieden Brötchen, Muffins, Donuts, Bagels usw. in der richtigen Kiste zu finden und sie im gefrorenen, aufgebackenen und verzierten Zustand wieder zuerkennen. Mittlerweile komme ich jedoch gut damit zurecht und schaffe es meist ohne Unterstützung von anderen gleichzeitig auf verschiedene Dinge zu achten: die Regale zur Besichtigung der Kunden für die verschiedenen frisch gebackenen Produkte auf dem Laufenden zu halten, die Suppen (aus der Packung) müssen zur Mittagszeit für die Sandwich-Station fertig sein und Schüsseln, Muffinsformen usw. sollten zwischendurch gesäubert werden. Immer wieder kommen dann noch Sonderwünsche von den Managern dazu, wegen Bestellungen von Großkunden z.B. für Meeting von wichtigen Personen mit Frühstück, von uns geliefert.
Das heißt, es gibt immer was zu tun und es wird nie langweilig. Nebenbei lerne ich natürlich auch immer die anderen Angestellten kennen. Insgesamt sind es ca. 20, davon 3 männliche, 2 Managerinnen und ein Manager (er ist zuständig für 2 Filialen). Mit den meisten davon komme ich wirklich gut zurecht, wir haben oft Spaß und versuchen das Beste daraus zu machen. Wenn mehrere Personen in einer Woche/Monat Geburtstag oder den Job beenden dann gibt es eine Torte. So ist es zum Beispiel in diesem Monat: nicht nur ich werde gehen sondern auch noch vier andere werden zurück ins Heimatland reisen oder einen neuen Job annehmen oder sonst was machen. Das ist echt cool.

Zum Geburtstag habe ich mir aber auch einen eigenen Kuchen hier aus der Bäckerei besorgt um ihn Abends zu essen mit einigen Freunden, mit denen ich mich getroffen habe. Am 15. Oktober selbst habe ich nicht groß gefeiert, dafür dann am folgenden Freitag haben wir erst in einem portugiesischen Restaurant gefeiert. 7 Personen (Zimmernachbarn und Freunde aus dem Hostel) saßen da zusammen an einem Tisch und 7 verschiedene Nationalitäten waren vertreten. Von fast allen Kontinenten. Das ist schon unglaublich wie viele verschiedene Menschen man hier kennen lernt, das hätte ich nicht gedacht.
Jedenfalls gabs zum Nachtisch den leckeren Erdbeerkuchen mit viel Sahne. Der war echt super lecker und die Bäckerin hat sogar noch meinen Namen und Happy Birthday drauf geschrieben.
Ja, da nach waren wir noch in einem Pub, was trinken. Einige Freunde, die ich wenige Tage zuvor beim Ausflug auf die Inseln vor Toronto kennen gelernt habe, sind dann noch dazu gestoßen. Das war auch echt gemütlich.

Am folgenden Wochenende war ich bei den Niagara Fällen! Ich war zwar allein und ziemlich spontan bei den Fällen, aber es war super beeindruckend. Nach dem ich gelesen hab, dass an dem Wochenende die letzte Bootstour ist und der Niederschlag im Winter bekanntlich auch nicht abnimmt, hab ich mich kurzfristig auf den Weg gemacht. Kurz nach meiner Ankunft (mit dem Bus, Nachmittags) hat es ein bisschen geregnet, doch dann ist die Sonne rausgekommen und es gab einen Regenbogen. Tolle Fotomotive. Leider gab es auch viele Touristen, trotz der Jahreszeit, das hat mich gewundert.
Eine Bootstour, mitten in die Fälle hab ich natürlich auch gemacht. Es war zwar kalt, nass und windig auf dem Boot, aber als es dann mitten in den Fällen langsamer geworden ist, vielleicht sogar angehalten hat für ein paar Minuten konnte man richtig die Macht des Wassers hören, sehen, schmecken, ja einfach spüren. Das war schon bombastisch, wie viel Wasser da 50 Meter in die Tiefe stürzt. Die kanadischen Fälle sind insgesamt ca. 600 Meter lang. Einige haben es wohl schon versucht mit den verschiedensten Mitteln sich die Fälle runter zu stürzen. Nur einer hat es lebend geschafft, heute ist es verboten. Ich hatte mir überlegt, auch in die Staaten zu gehen, aber dort ist die Sicht glaub ich auch nicht besser und ich bin ja abends schon wieder zurück gefahren.

In der Wohngemeinschaft in der ich jetzt seit eineinhalb Monaten lebe hat sich einiges verändert, seit dem letzten Bericht. Mila ist innerhalb Torontos umgezogen, näher zu seinem Arbeitsplatz, Wilson ist weiter gereist nach Miami und Dev ist seit letzter Woche wieder in seiner Heimat, in Indien. Das ist schade, ich mit den Drei echt gut verstanden hab. Wir haben manchmal zusammen gekocht, hatten viel Spaß und ich hab einiges von ihnen über Toronto erfahren. Naja, mittlerweile sind auch schon wieder neue Mieter da, einer aus Irland und wieder einer Indien. Die Zwei sind auch nett, aber bis jetzt hab ich noch nicht besonders viel mit ihnen zu tun, und bald werde auch ich weiter ziehen.

Ein Mal im Monat treffen sich hier ein Paar von Tim Hortons abends zum Essen. Sozusagen der enge Kreis, denn zum Beispiel die Manager sollen auf keinen Fall kommen. Das macht das organisieren manchmal ein bisschen schwierig. Zwischen den Kaffeemaschinen werden also kurze Nachrichten durchgegeben wie zum Beispiel: Freitagabend ..... 7.30 pm .... Kreuzung Bathurst und Dundas Avenue.... Treffpunkt beim Asiaten.... Diese Nachricht hat mich auch erreicht, darüber war ich natürlich erstmal glücklich und hab mich schon drauf gefreut. Leider war der Abend dann nicht so schön wie erwartet, ich zu neugierig war. Ich hab fast alles probiert, viel unbekanntes für mich, und dann hat mir meine Lebensmittelallergie gezeigt, dass es nicht gut war. Ja, das volle Programm, weswegen ich dann mich frühzeitig verabschiedet hab um „zu Hause“ meine Medizin zu nehmen. Gut das es die gibt! Nach einer Nacht mit wenig Schlaf hatte ich dann zum Glück fast keine Beschwerden mehr, trotzdem hoffe ich dass so etwas nicht noch mal passieren wird. Das heißt noch vorsichtiger sein, immer nachfragen, was drin ist usw. (Eigentlich bin ich nur allergisch gegen ein paar spezielle Nüsse). Trotzdem freue ich mich schon drauf wenn wir uns in diesem Monat treffen, dann werde ich aber stark dafür stimmen, dass wir nur Bowling gehen oder so.

Ende Oktober habe ich im Supermarkt einen Mann namens Garry getroffen mit dem ich irgendwie ins Gespräch gekommen bin. Nach dem ich ihm erzählt hab woher ich komme und was ich hier mache hat er mir angeboten bei ihm zu arbeiten. Ab dem folgenden Samstag hab ich immer Samstags mit ihm gearbeitet, um ein bisschen Geld zusätzlich zu verdienen. Wir haben gemeinsam, manchmal auch noch mit anderen Arbeitern, die normalerweise nur unter der Woche mitarbeiten Wände in alten Häusern entfernt, Böden verlegt, Zimmer gestrichen, Müll in die große Schrottentsorgungshallen gebracht und vieles mehr. Dabei hab ich natürlich Toronto noch mal ganz anders kennen gelernt und auch noch mal eine andere Art von Englisch, an die ich mich erst gewöhnen musste. Aber es hat mit echt Spaß gemacht, auch wenn es manchmal anstrengend war. Es war interessant sich mit Garry immer wieder zu unterhalten über das Leben und übers Reisen wenn wir mal wieder in seiner tollen alten Dodge unterwegs waren.

Der Verkehr ist hier eine Sache für sich. Ich bin meistens mit dem Rad unterwegs und vermisse dabei vor allem die Grüne Welle aus Deutschland. Irgendwie gibts das hier nicht, jedenfalls ist fast immer Rot, wenn ich komme. Das ist manchmal echt frustrierend. Außerdem nerven die „Streetcars“. Die Straßenbahnhaltestellen sind immer Mitten auf der Straße und wenn die Leute dann ein und aussteigen, darf man natürlich nicht überholen. Was dafür sehr angenehm ist sind die Fußgängerübergänge. Denn Die Lichter an einem solchen fangen sofort an zu blinken wenn man einen Knopf drückt und die Autos lassen dich über die Straße. Was mich manchmal sehr überrascht ist die Tatsache, dass man auch rechts überholen darf und bei einer roten Ampel trotzdem rechts abbiegen darf, wenn frei ist. Blitzer gibt es kaum und wenn mal einer am Straßenrand steht gibts eigentlich immer davor eine Ankündigung. Manchmal frage ich mich echt wer dann so doof ist und geblitzt wird, oder ob es gar kein Blitzer ist sondern nur ein grauer Kasten.

Sonntag ist Ruhetag. Das heißt morgens höre zu zum Frühstück fast immer SWR 3 weltweit, telefoniere mit Freundin oder Familie in Deutschland über skype, auch wenn es nicht immer die Beste Verbindung ist. Klar, über den Atlantik. Dann wasche ich meine Wäsche,hier gegenüber in der Wäscherei und mach dann zum Beispiel mit dem Rad eine Tour. So bin ich in den Norden bis mach York gekommen, oder am Ontario Lake entlang gefahren, in den Westen bis nach Mississauga, in den Osten bis nach Scarborough und am Humber River entlang. Jetzt wirds langsam wirklich kalt und auch nicht mehr besonders angenehm zu fahren im Schnee, deswegen war ich letztes Wochenende im Royal Ontario Museum. Über die Geschichte Kanadas habe ich dort kaum was erfahren, da es natürlich nicht besonders viel zu berichten gibt, aber es gibt dort eine Ausstellung über Kristalle und Diamanten, Dinosaurier, Fotografie in Asien, afrikanische Kunst und europäische Geschichte. Das war echt interessant.

Letzten Sonntag war ich auch das erste Mal in einer Kirche in Kanada. In der „ Trinity-St. Pauls United Church“ habe ich einen sehr interessanten und für mich neuartigen Gottesdienst erlebt. Zu Beginn, nach dem Grußwort sollten sich alle Besucher kurz vorstellen und sagen wo sie herkommen. Es haben sich überraschend viele gemeldet. Ich war mir erst nicht so ganz sicher aber schließlich hab ich mich auch kurz vorgestellt. Das hatte zur Folge, dass ich nach dem Gottesdienst von einigen deutsch sprechenden oder Europareisenden angesprochen wurde und gefragt wurde was ich denn hier so mache. Außerdem gab es einen wirklich guten Chor und wir haben sogar ein Taizé-Lied, das mir bekannt war, gesungen. Der Friedensgruß war wie in Deutschland ein Teil mit besonderer Bedeutung, hatte ich das Gefühl. Nach den ersten 10 Minuten sind die Kinder gegangen zu einem extra Kindergottesdienst und wurden mit dem Lied „Go make a difference.
We can make a difference. Go make a difference in the world.(2x)“ verabschiedet. Das hat mir echt gut gefallen.

Eins der wenigen Dinge die ich hier wirklich vermisse ist die Musik. Meine Klarinette, das Saxophon, das Orchester, die Konzerte und alles was damit zu tun hat. Deswegen habe ich mich ein bisschen umgeschaut was Toronto so musikalisches zu bieten hat. Dabei bin ich auf das „Young Centre for the performing arts“ und die „Roy Thomson Hall“ gestoßen. Ich hab mir dort in einem Zimmertheater das Stück „A Raisin in the sun“ von Lorraine Hansberry angeschaut und das Toronto Symphony Orchestra angehört. Das war echt beeindruckend. An dem Abend an dem ich dort war haben sie Lyadov, Rachmaninoff und Brahms gespielt. Besonders gefallen hat mir Sergei Rachmaninoff mit „Rhapsody on a Theme of Paganini“. Dieses Werk hat er nach der Uraufführung von George Gershwins „Rhapsody in Blue“ geschrieben und die Ähnlichkeiten sind nicht nur im Titel sondern auch in der Länge des Werkes zu erkennen, in der Besetzung, in des Soloinstruments Klavier und des Jazz-Stiels. Das war so ein bisschen eine Entschädigung für das Konzert der MPB, das ich verpassen werde, im Dezember. Denn wäre ich in Mannheim hätte ich die „Rhapsodie in Blue“ selbst mitgespielt. Natürlich finde ich es jetzt schon sehr schade, dass ich das nicht machen kann.

Gestern war ich auf dem CN Tower! Nachmittags habe ich mich mit einigen von Tim Hortons getroffen. Wir hatten super viel Spaß und haben natürlich die Aussicht genossen auf dem höchsten fertiggestellten Fernsehturm der Welt! Insgesamt ist er 553 Meter hoch, zählt jährlich über 2 Millionen Besucher, wurde 1976 nach 3 Jahren Bauzeit fertig gestellt und hat1537 Arbeiter beschäftigt. In einem der Auszüge sind wir mit 6 Metern pro Sekunde in eine dünnere Luftschicht geschossen und haben dort schöne Bilder gemacht, bei Tageslicht, mit Sonnenuntergang und bei Nacht. Das interessante ist, dass ursprünglich das unterste Stockwerk oben auf 351 Metern einen Panzerglasboden hatte. Es hat sich jedoch anfangs niemand der Besucher darauf getraut, deswegen wurde er größtenteils mit einem Teppichboden bedeckt. Wir waren natürlich auch auf dem Teil, der „frei“ ist. Es kostet ein bisschen Überwindung über die Glasfläche zu laufen und 300 Meter unter sich die kleinen Autos und die fast nicht zu erkennenden Menschen zu beobachten. Leider war die Sicht nicht so gut, dass wir die Gicht der Niagara Fälle sehen konnten.

Nach wie vor habe ich bis jetzt einen sehr guten Eindruck von Kanada, das heißt von Toronto. Auch wenn man natürlich die Schattenseiten der Stadt kennen lernt, je länger man hier wohnt. Zum Beispiel sehe ich wenn ich morgens früh zur Arbeit fahre einen Penner auf einem Gullideckel Mitten in der Stadt liegend. Die warme Luft aus den unterirdischen Schächten nutzend, in Decken eingewickelt, ich denke er schläft. Aber das zu der Jahreszeit! Bei manchmal -10°C !!! Ich will nicht wissen, wie lange er dort noch liegt.
Vieles habe ich jetzt hier kennen gelernt, vor allem viele nette Menschen, die ich sicherlich vermissen werde, wenn ich demnächst weiter ziehe. Auf der anderen Seite bin ich auch froh, dass die Zeit bei Tim Hortons zu Ende ist, denn ich kann mir echt etwas besseres vorstellen, für den nächsten Job. Aber ich bereue es nicht dort gearbeitet zu haben, vielleicht war es sogar gut, denn man muss ja steigerungsfähig bleiben:)
Mein Mietvertrag geht bis zum 30. November. Dann werde ich weiterreisen. Ich weiß noch nicht genau wohin oder was ich dann machen werde. Aber wenn es mir irgendwo gut gefällt, dann bleibe ich dort und wenn es mir nicht gefällt, dann ziehe ich weiter. Das erste Ziel sind ein Paar Freunde, die ich in Frankreich kennen gelernt habe und in der Nähe von Ottawa besuchen werde. Das Ziel für Weihnachten ist die Atlantikküste. Mal sehen, was daraus wird.